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Ein Mittagsschläfchen für gestresste Seelen

Knut Krohn
  • Sa, 29. Februar 2020
    Panorama

     

In Paris wird eine ungewöhnliche Dienstleistung angeboten – ein Café bietet die Möglichkeit zum Entspannen in der Mittagspause.

Christophe Chanhsavang   | Foto: Knut Krohn
Christophe Chanhsavang Foto: Knut Krohn
Wieder bleibt ein Passant stehen, liest erstaunt den Aushang und geht lächelnd weiter. Christophe Chanhsavang kennt diese Reaktion. "Manche machen auch Fotos", sagt er. "Bar à Sieste" steht über dem Eingang des kleinen Geschäfts in der Passage Choiseul im angesagten zweiten Pariser Arrondissement. Hier gibt es keinen Kaffee oder Croissants, aber jeder kann in den abgetrennten Räumen eine Pause einlegen, sich hinlegen und entspannen oder auch ein Mittagsschläfchen machen.

"Das Problem ist, dass die Kultur des erholsamen Schlafens am Tag in Frankreich nicht sehr verbreitet ist", bedauert Christophe Chanhsavang. "Es gibt nicht einmal ein richtiges Wort dafür." Der Ausdruck "Sieste" habe für viele Menschen einen eher negativen Klang. Deshalb heißt das Geschäft "ZZZen – Bar à Sieste", um den Bezug zur asiatischen Kultur herzustellen, wo diese Art, Pause zu machen ganz normal sei. Dort schliefen die Menschen einfach zwischendurch – im Bus, in der U-Bahn oder im Büro auf kleinen Sofas. "Viele Firmen stellen ihren Mitarbeitern sogar Schlafmöglichkeiten zur Verfügung", sagt der junge Unternehmer, dessen Vater aus China kommt. In diesem Moment schlurft ein Mann aus dem Schlafbereich die Treppe in den kleinen Empfangsraum hinunter – und wirkt ziemlich tiefenentspannt. "Ich arbeite hier um die Ecke in der Nationalbibliothek", erzählt er. Lange habe er nach einer Möglichkeit gesucht, sich mittags kurz zu entspannen. Sich einfach bei der Arbeit hinzulegen sei unmöglich, gibt der Mann zu, die Kollegen hätten nur böse Blicke oder Spott dafür übrig. Schließlich sei er auf das Schlaf-Café gestoßen – und nun dessen regelmäßiger Kunde.

Jeden Tag würden im Schnitt 30 Leute das Angebot wahrnehmen, sagt Christophe Chanhsavang. Das reicht von der viertelstündigen "micro-sieste" für 12 Euro (7 Euro im Abo) bis hin zu kleineren Massagen. Wer möchte, kann auch seine Fußpflege einem Schwarm von Doktorfischen überlassen, die abgestorbene Hautschuppen von der Sohle knabbern. Die Palette der Dienstleistungen wurde auch etwas auf europäische Verhältnisse abgestimmt. Das heißt, dass der gestresste Mensch auch in einem Massagesessel entspannen oder sich eine Virtual-Reality-Brille aufsetzen und so dem Alltag auf einen eingeschneiten Berggipfel oder an einen verlassenen Strand entfliehen kann. "Wichtig ist, dass die Leute sich bei uns für einen Moment ausklinken und ihre Batterie wieder aufladen können", sagt Christophe Chanhsavang, "oft genügen dazu einige Minuten."

Schlafmediziner geben ihm recht. Eine aktuelle Studie des Fachmagazins Heart belegt: Wer ab und zu Mittagsschlaf hält, tut seiner Gesundheit einen Gefallen. Ein Ärzteteam aus Lausanne untersuchte dazu mehr als 3400 Erwachsene. Bei Probanden, die ein- bis zweimal pro Woche Mittagsschlaf halten, war das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall nur etwa halb so hoch wie bei jenen, die sich nie eine Siesta genehmigen. Wer zu wenig schläft, dem unterlaufen Medizinern zufolge bei der Arbeit auch häufiger Fehler. Zudem sei das Unfallrisiko höher. "Wenn ich die Leute um mich herum ansehe, dann schlafen die meisten von ihnen zu wenig", ist Christophe Chanhsavang überzeugt. Auch diese Beobachtung wird von Forschern mit harten Fakten unterstützt. Nach Angaben der französischen Gesundheitsbehörde schlafen die Franzosen an Werktagen durchschnittlich sechseinhalb Stunden pro Nacht. Mehr als ein Drittel komme nicht einmal auf sechs Stunden und leide tagsüber an Müdigkeit, so die Forscher. Experten empfehlen zwischen sieben und acht Stunden Schlaf pro Nacht.

Seit zwei Jahren hat der Unternehmer seine Geschäftsidee sogar noch ausgeweitet. Er bietet Firmen in und um Paris den "ZZZen-Truck" an. Das bedeutet, er fährt mit einem speziell eingerichteten großen Lieferwagen den Firmen direkt vor deren Haustüre und die Angestellten können sich dann vor Ort entspannen. Chanhsavang hat die Erfahrung gemacht, dass US-Unternehmen das Angebot leichter annehmen als französische. "In den USA gehen die Chefs viel pragmatischer an die Sache heran", erzählt er. "Der Mensch wird dort als eine Art Kapital gesehen, das es zu pflegen gilt." Christophe Chanhsavang betreibt seine "Bar à Sieste" seit rund zehn Jahren, und er glaubt zu beobachten, dass sich die Einstellung der Franzosen zur Siesta allmählich zum Positiven verändert. Vielleicht, hofft er, findet sich irgendwann ein wohlklingendes französisches Wort für den gepflegten und gesunden Mittagsschlaf.

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 29. Februar 2020: PDF-Version herunterladen

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